Sommerabend auf Nikolskoe am 01. Juni 2023

ARD-Fernsehmoderator Sascha Hingst im Gespräch mit Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Christoph Markschies, Präsident Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Kuppel, Kreuz und Krone

Bismarcksaal und Hindenburgdamm:

Wie gehen wir mit dem preußischen Erbe in Berlin angemessen um?

Ist es „geschichtsblind“, zu meinen, die(se) von Friedrich Wilhelm IV. aus zwei Bibelzitaten zusammengestellte Inschrift für seinen (Berliner) Schlossbau sei einfach nur ein unpolitisches Zeichen von Religiosität“ (StM´in Claudia Roth MdB) oder muss der Bibeltext als herrschaftskritisch verstanden auf der Kuppel sichtbar bleiben?

Wo ließe sich passender darüber sprechen als in St. Peter & Paul bei entspannt sonnig-warmer Atmosphäre dieses ersten Juni-Abends 2023! 

Bezieht sich das Auswärtige Amt unter Annalena Baerbock mit der Umbenennung seines Bismarck-Zimmers in „Saal der deutschen Einheit“ auf unsere demokratische Geschichte oder ist es vielmehr entsetzlich traurig, dass wir so mit unserer Geschichte umgehen? Wem ließen sich dazu besser informative insights überaus erfrischend entlocken als dem eloquenten Theologen, über die Antike forschenden HU-Professor und auch Präsident der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften, dem Ehrengast Professor Christoph Markschies! Wer wäre dazu der geeignetere Gesprächspartner als wiederum der um kein Wort verlegene ARD-Fernseh-Journalist und Jurist Sascha Hingst, ob auch noch die Hindenburgdamm genannte Bahnstrecke nach Sylt besser „Syltdamm“ heißen sollte? 

Die Mitglieder und Gäste, Freunde und Förderer in der dicht besetzten Kirche St. Peter & Paul kamen voll auf ihre Kosten: Markschies stellte klar, dass der Deutsche Bundestag kein „Fantasia“, sondern den Wiederaufbau der historischen Schloss-Fassade beschlossen hatte, die Kuppel zwar „nice to have“, aber Teil dieser „musealen Inszenierung“ ist und das Bibel-Zitat deshalb dort stehen darf. Auf Sensibilitäten z.B. derjenigen Rücksicht zu nehmen, die wie Sascha Hingst einbrachte, Rassismus erleb(t)en, empfahl er unter Bezug auf den Apostel Paulus gleichwohl. Über den Wandel im historischen Urteil, auf den er zu Hindenburg aufmerksam machte, der bis ca. 1930 als Retter Preußens galt, war es für die munteren Diskutanten und ihrem interessiert-vergnügt folgenden Publikum nicht weit zum Einfluss des Zeitgeistes seit den 68ern, von dem wir alle nicht frei sind – schon mit jeder Auswahl von Erbstücken.

„Tilge ich mit Bismarck Deutschland?“ führte Hingst das Gespräch hin zum Bismarck-Zimmer im Auswärtigen Amt. Eine törichte Umbenennung nannte das der profund argumentierende Ehrengast; für ihn kann man die Geschichte des Hauses gar nicht besser darstellen. Denn in diesem Sitzungsraum tagte das Politbüro der DDR, in den das Lehnbach-Portrait Bismarcks aus dem AA der Wilhelmstraße erst eingebracht wurde. Nicht DDR-typisch sieht er manche Neigung zum Ausstieg aus Teilen unserer Geschichte, wie Sascha Hingst mit der Erfahrung seiner ostdeutschen Herkunft zur Diskussion stellte, sondern die „Entsorgungsmentalität von Vergangenheit“ hält er für sehr deutsch – sie gab es zu allen Zeiten, mal nimmt das Bewusstsein auch wieder zu, wie unter Richard von Weizsäcker mit der Ausstellung 1981 in Berlin: „Preußen. Versuch einer Bilanz“.  

Auf den in Rede stehenden Namen der StiftungPreußischer Kulturbesitz angesprochen markierte Christoph Markschies eine alle Themen des Abends treffende Einsicht: Preußen ist zwar „keine reale Gefahr mehr für Kölner“ und ihre Befindlichkeiten, aber Preußen produziert immer noch Emotionen – gerade wegen seiner Erfolge als Militär-, Kultur- und Sozialstaat und bildet weiter eine Projektionsfläche, um manches Mütchen an Preußen kühlen zu können. Aber auch Rom sieht er untergegangen am mangelnden Einsatz seiner ins Heute übersetzt bürgerlichen Eliten. Darüber fanden beide Gesprächspartner zu einem ernsten gemeinsamen Schluss-Appell, sich gegenüber Medien zu artikulieren, das nicht nur anderen zu überlassen und sich selbst für das Gemeinwesen zu engagieren – wie es dieser Freundeskreis beispielhaft unternehme! 

Der große und anhaltende Applaus der Teilnehmer galt herzlich und  dankbar Christoph Markschies und Sascha Hingst für ihr ausgesprochen informatives und zugleich überaus unterhaltsames Gespräch – sowie anschließend dem 100. Mitglied Dr. Wiebke Pühler, die die Vorsitzende Almut Giesen an diesem sehr anregenden Abend im Freundeskreis Nikolskoe mit einem Blumenstrauß begrüßen konnte.

Dieses Mal bis gegen zweiundzwanzig Uhr genossen dann alle untereinander gesprächsintensiv auf dem Vorplatz den Sonnenuntergang über Havel und Wannsee bei Brezel, Gebäck und Wein.

Text: Klaus Bräunig , Fotos copyright: Almut Giesen