Sommerabend auf Nikolskoe am 03. Juli 2024

Sommerabend auf Nikolskoe am 03. Juli 2024

Frau Prof. Dr. Bénédicte Savoy / TU Berlin im Gespräch mit
Kulturstaatsministerin a.D. Frau Prof. Monika Grütters

Als Nachbarinnen lernten sich beide kennen und nicht nur Napoleon, der die Quadriga des Brandenburger Tores mit nach Frankreich nahm, verbindet sie. Das verrieten die beiden Hauptpersonen dieses überaus anregenden Sommerabends auf Nikolskoe, Frau Prof. Bénédicte SAVOY, TU Berlin, und Frau Prof. Monika GRÜTTERS MdB, Kulturstaatsministerin a.D., den über 100 (!) Gästen. Almut Giesen nannte es in ihrer herzlichen Begrüßung Auszeichnung und Ansporn, dass die frühere Professorin am Pariser Collège de France für Kulturgeschichte und die Politikerin mit der in Europa längsten Amtszeit als Kulturstaatsministerin in der randvoll besetzten Kirche St. Peter & Paul über „Erinnerungskultur in Deutschland – von Diktaturerfahrungen bis zum Umgang mit kolonialen Kontexten“ anschaulich informierten.

Politikerin und Professorin schilderten, wie lange weder die Provenienzforschung ein Thema in der kunsthistorischen Ausbildung war noch die Enteigneten NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter Gehör fanden. Warum fand dazu erst 1998 die Washingtoner Konferenz mit ihren beschlossenen Grundsätzen in Bezug auf solche Kunstwerke statt, fragte Grütters, die 2013 in weniger als einem halben Jahr mit allen 16 Bundesländern vereinbarte, sich des Themas dieser Kulturgüter systematisch anzunehmen und in deren Amtszeit auch das „Deutsche Zentrum Kulturgutverluste“ zum 1.1.2015 als Stiftung bürgerlichen Rechts mit Sitz in Magdeburg errichtet wurde. Für Savoy waren wirksame Zeichen auch an Museen und Wissenschaft erforderlich, die erfolgreich ihre Bestände pflegen und bewahren, aber zu deren Herkunft jahrzehntelang Transparenz strategisch abwehrten. Heute wird das Thema vertraglich mit öffentlichen Zuwendungen an Museen verknüpft und seit April der Entwurf eines Gesetzes zur erleichterten Durchsetzung der Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut beraten. Und zwei Lehrstühle sind nun eingerichtet zur Provenienzforschung. Insbesondere junge Frauen, so Savoy, pushen sie und gehen in der TU systematisch in die Archive und veröffentlichen z.B. erstmals Dokumente des Geheimen Staatsarchivs – von ihr Faktivismus statt Aktivismus genannt.                                                                                                            Grütters fügte die mühsame Vorbereitung des Humboldt-Forums hinzu, für deren internationalen Beirat sie Savoy gewann. Dabei kann die Sammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz die gesamte Kulturgeschichte der Menschheit erzählen. Inzwischen sind viele aufgewacht und die Geschichte ist weitergegangen, resümierte sie – stolz darauf, dass sie mit Wolfgang Schäuble freien Eintritt ins Humboldt-Forum durchsetzte.

Beide prominente Damen unterstrichen: Provenienzforschung soll kein schlechtes Gewissen erzeugen, sondern eine neue Qualität erreichen im Umgang mit diesen Kulturgütern aus der Kolonialzeit und eine gemeinsame Geschichte über diese Objekte erzählen. Zugleich skizzierten sie, wie unterschiedlich unsere europäischen Nachbarn mit Rückgabe und Restitution umgingen. Die europäische Abwehr von Forderungen der 60er Jahre aus dem afrikanischen Kontinent kam wie ein Bumerang über die 80er Jahre mit großer Schleuderkraft nach Europa zurück. Heute besteht große Bereitschaft in der deutschen Bevölkerung, sich unangenehmen Erkenntnissen zu stellen. „Es tut weh, aber es hat viel bewirkt“ – war das passende Schlusswort der sich schätzenden Nachbarinnen, die mit großem, dankbar-herzlichen Beifall in den sonnigen Ausklang vor der Kirche verabschiedet wurden.

 

Text: Klaus Bräunig

Fotos copyright: Almut Giesen, Sabine Diesselhorst, Anne-Ruth Moltmann-Willisch