Sommerabend auf Nikolskoe am 01. August 2024

Kulturjournalistin Maria Ossowski im Gespräch

mit Schauspieler und Autor Matthias Brandt

 

Das war wieder ein großartiger Abend auf Nikolskoe!

Bei traumhaftem Wetter strömten über 150 Gäste sehr zum Erstaunen von Matthias Brandt in die Kirche; hatte er doch befürchtet, dass aufgrund der Berliner Ferienwochen nur wenige den Weg nach Nikolskoe finden würden.

Brandt startete den Sommerabend auf Nikolskoe mit der Lesung eines Kapitels aus seinem Buch „Raumpatrouille“, Erinnerungen eines namenlosen Erzählers, das sich aber für alle klar mit seiner Kindheit „in einer kleinen Stadt am Rhein“ beschäftigt.

In der ausgewählten Erzählung „Nirgendwo sonst“ beschreibt Brandt detailreich seine erste Übernachtung bei dem Freund Holger. Mit großem Erstaunen beobachtet er das völlig anders verlaufende Familienleben von Holger, angefangen von der Einrichtung mit dem Brokatdeckchen am Telefon bis zur Frottee-Toilettengarnitur. Das abendliche Familientreffen vor dem Fernseher wird von Schnittchen, Chips und filetierten Gurken begleitet – der Erzähler findet es wunderbar gemütlich. Aufgewühlt von diesem Abend in dieser für ihn neuen Welt kann er zunächst nicht einschlafen, zornig auf die eigenen Eltern, die ihm so viel vorenthalten. Trotzdem überkommt ihn später starkes Heimweh und er kann es am Morgen nicht abwarten, von der Fahrbereitschaft seines Vaters nach Hause, „in das das Haus, in dem man sich so leicht verpassen kann“, zurück gebracht zu werden.

Erneut konnte der Freundeskreis Nikolskoe die Kulturjournalistin Maria Ossowski gewinnen, die Brandt nach der Lesung sensibel zu seinen Kindheitserinnerungen in dem „weißen Haus“ in Bonn befragte. Er gab ehrlich zu, dass er sich nicht leicht erinnern könne, ob seine Erinnerungen eigene oder durch Dritte dokumentierte seien. War die öffentliche Funktion seines Vaters für ihn als Kind erkennbar und wichtig gewesen? „Sein Vater sei prägend für Deutschland gewesen, für ihn prägend war die Mutter.“

Ossowskis Fragen zu Begegnungen, wie den regelmäßigen Kakao-Besuch bei dem Nachbarn Heinrich Lübke, seine bis heute währende Fußballbegeisterung für Werder Bremen, die verflixte Fahrradtour des Vaters mit Herbert Wehner, seine Liebe zur Zauberei – durchaus mit Feuer, die fast das Haus ruiniert hätte, beantwortete Brandt mit verschmitztem Lächeln.

Seine Kindheit unter dem Brennglas eines prominenten Elternhauses brachte uns (älteren) Zuhörern die Bundesrepublik Deutschland der 60er und 70er Jahre im Nu zurück.

Auf die interessanteste Frage, wie er nämlich zur Schauspielerei gekommen sei, antwortete er mit Detailreichtum und Witz: Hinter dem Rücken der Eltern das Arbeitsamt anrufen, Theaterschulen heraussuchen und bewerben, einen Theaterführer kaufen und geeignete Stücke suchen, um diese dann zu Hause flüsternd auswendig zu lernen – niemand sollte etwas mitbekommen.

Allen Gästen empfahl Maria Ossowski die Lektüre der „Raumpatrouille“. Und wer Matthais Brandt gerne auf der Bühne erleben möchte: „Warten auf Godot“ wird am 11. April 2025 Premiere im Berliner Ensemble haben.

Text: Margret Bren d’Amour

Fotos copyright: Dr. Hans-Michael Giesen